FORE-Tagung Juli 2021

FORE – Tagung

Narren(freiheit)?

Fr. 30. Juli bis So. 1. August 2021

Abtei Frauenwörth im Chiemsee (Fraueninsel)
83256 Frauenchiemsee
Tel.  08054/907-0 http://www.frauenwoerth.de

 

 

Das Thema diesr Veranstaltung - „Narren(freiheit)?“ - fällt aus dem Rahmen unserer bisherigen Seminare. Es stand im Raum, als wir nach unserem letzten FORE-Treffen und der Führung durch das römische Bedaium (das heutige Seebruck) im Malerwinkel zum Ausklang unseres Seminars gut gespeist haben. Auch der erweiterte Kreis der „Programmmacher“, von dem einige im Malerwinkel nicht dabei sein konnten, hatte keine Einwände gegen dieses Thema. Warum auch immer? Vielleicht fühlt sich unser Kreis auch als etwas „närrisch“, oder zumindest umzingelt von lauter Narren.

Angelpunkt der Programmgestaltung war der Vorschlag, Herrn Prof. Werner Mezger als Referenten zu gewinnen. Er hat sich mit der Figur des Hofnarren genauso beschäftigt wie mit dem Phänomen der schwäbisch-alemannischen Fasnacht. Prof. Mezger lehrte bis 2019 Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Universität Freiburg und leitet noch immer das Freiburger Institut für Volkskunde der Deutschen des östlichen Europa (IVDE). Und es ist uns gelungen ihn als Referenten zu gewinnen und ihn für unseren vielleicht „närrischen“ Kreis zu interessieren.

Das mit Professor Werner Mezger abgesprochene Thema stellt in den Mittelpunkt eine Bildbetrachtung eines Tafelgemäldes von Pieter Bruegel d. Ä.: „Het gevecht tussen Vastenavond en Vasten“. Damit setzen wir unsere Tradition fort, die Betrachtung eines Kunstwerks oder eines Kinofilmes in unsere Veranstaltungen einzubauen.

Der Titel des Bruegel-Gemäldes verweist auf eine  Gepflogenheit im Spätmittelalter, den Gegensatz zwischen Fastnacht und Fasten als Turnier der Vertreter zweier gegensätzlicher Welten darzustellen. Solche „Contrasti“ tauchten zunächst in Spanien in der Form literarischer Streitgespräche auf; diese wurden ab dem 16. Jahrhundert vor allem in den Niederlanden zu einem beliebten Motiv der bildenden Kunst. Ihren Höhepunkt erreichte diese Bildtradition 1559 mit dem berühmten Tafelgemälde von Pieter Bruegel d. Ä. (heute im Kunsthistorischen Museum in Wien).

Im Vortrag wird aufgezeigt, wie durch den Einsatz höchstauflösender 8 K-Fotos und mit Hilfe weiterer fotografischer Spezialtechniken dem Gemälde mit seinen annähernd 200 dargestellten Figuren bisher nur unzulänglich oder gar nicht wahrgenommenen Geheimnisse zu entlocken sind. Dies gewährt ganz neue Einblicke in die Wissensfülle eines hochgebildeten Humanisten.

Bernhard Gill betrachtet „Narrheit“ aus der Perspektive der Soziologie. Hier stellt sich Narrheit dar als „Devianz“, das heißt als Abweichung vom normalen Verhalten. Obwohl Abweichungen und Abweichlerinnen aus dem Blickwinkel der Norm verfemt sind, haben sie doch drei enorm wichtige Rollen für das Funktionieren von Gesellschaften. Zum Ersten wird gerade in der gelegentlichen Überschreitung und ihrer öffentlichen Sanktionierung die Norm ins Bewusstsein gerufen und das kollektive Wir-Gefühl bestätigt: „Wir sind vernünftig und keine Narren“. Zum Zweiten ist die Überschreitung ein expressives Ventil für die Ambivalenz der Triebunterdrückung, die von Normen üblicherweise ausgeht: „Ich habe eine Mordslust. Das würde ich eigentlich auch gerne tun!“, flüstert das Unterbewusstsein. Die Narreteien verkörpern also in der Überschreitung das Begehren, das sich in der Einhaltung der Norm versagen muss. Insofern entsteht hier neben dem Ressentiment und der Straflust gegen die Ordnungsstörer häufig auch klammheimliche Sympathie mit ihrer Narrheit. Zum Dritten müssen Normen immer wieder kreativ an veränderte Umstände angepasst oder ganz beseitigt werden: Hier treten die Närrinnen dann als kreative Zerstörerinnen auf, und zwar in Gestalt von Revolutionären, Wissenschaftlerinnen und Künstlern. Diese Rolle wird ihnen jedoch nur zugestanden, wenn sie mit ihren Umsturzversuchen erfolgreich sind. Andernfalls landen sie, als Verbrecher und Irre, auf dem Scheiterhaufen der Geschichte. Oder werden wie gewöhnliche Narren ganz einfach vergessen. Wie immer in der Evolution werden die meisten Abweichungen („Variationen“) negativ selektiert. Je unwahrscheinlicher also ihr Erfolg, umso größer der Ruhm für Närrinnen, deren Innovationen die Evolution auf neue, überraschende Pfade geführt hat.

Gewisse soziale Rollen, wie etwa der Hofnarr, sind verschwunden, aber nicht das Phänomen des Komischen und der Narrheit, meint der Soziologe Peter L. Berger in seinem Werk „Erlösendes Lachen: das Komische in der menschlichen Erfahrung“. Ausgehend von den verschiedenen Ausdrucksformen des Komischen im Alltag skizziert Berger die „ewige Wiederkehr der Narrheit“. „Narrheit ist anthropologisch notwendig.“ Das Referat von Edgar Büttner folgt dem Soziologen und bekennenden Lutheraner Peter L. Berger auf dem Weg zur „Narrheit der Erlösung“ als Bestandteil einer Theologie des Komischen.

Jörg Wernecke meint es wäre einen Versuch wert, jedwede Geschichte der Philosophie mit dem Lachen der thrakischen Magd über Thales (der den Kopf gen Kosmos gewandt die Grube vor seinen Füßen übersah und infolgedessen hineinstürzte) beginnen zu lassen und nicht zu voreilig den aus der Anekdote von Platon gezogenen Schlüssen zu folgen, wonach Philosophen nicht verstanden, sondern als Weltfremde gemeinhin diffamiert werden. Und: Es ist bis heute ein überaus lohnendes Geistesgeschäft, das Verhältnis von Erkenntnis, Wahrheit einerseits und Person, Gesellschaft und Institution andererseits in Widerspiegelung zur Rolle von Narren, Toren und Erkenntnisanarchisten näher zu beleuchten. „Ein Narr, der sich einbildet, ein Fürst zu sein, ist von dem Fürsten, der es in der Tat ist, durch nichts unterschieden, als dass jener ein negativer Fürst, und dieser ein negativer Narr ist, ohne Zeichen betrachtet sind sie gleich.“ (Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799 / deutscher Physiker), Sudelbuch [A 117], München 1994.)

 

Programm

Freitag, 30.7.2021
ab   13:00    Anreise
15:00 16:30   Werner Mezger
        Der Kampf zwischen Fastnacht und Fasten. Zur Deutung des 1559 entstandenen Tafelgemäldes „Het gevecht tussen Vastenavond en Vasten“ von Pieter Bruegel d. Ä.
16:45 18:15   Bernhard Gill
        „Narren als Verbrecher und Irre, Revolutionäre, Wissenschaftler und Künstler: Funktion von Devianz und Kreativität in der Aufrechterhaltung und sozialen Evolution von Normen“
    18:30   Abendessen

 

Samstag,  31.7.2021
ab   8:00    Frühstück
9:00 10:30   Sr. Hanna Fahle
        Führung durch die Klosterkirche
10:30 11:30   Edgar Büttner
        „Das Heilige und die Narrheit“
11:45 13:15   Jörg Wernecke
        „Närrische Philosophie. Oder: von tumben Toren, weisen Narren und närrischen Weisen“
    13:30   Mittagessen
16:30 17:30   Senior der Fischerei Lex
        Chiemsee-Fischerei

 

Sonntag, 1.8.2021
ab   8:00    Frühstück
9:00 10:00   Monika Huber
        Einführung „Chiemsee-Maler“
    danach   Überfahrt zur Herreninsel
ab   10:30   Museum im ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift
        Besuch der Ausstellung über die Chiemsee-Maler und Julius Exter
ca.   12:00   Abschluss unseres diesjährigen Treffens
        Mittagessen auf der Herreninsel

 

 

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