FORE – Tagung
Vom Anthropozän zum Gaiazän
Fr. 21. Juli bis So. 23. Juli 2023
Abtei Frauenwörth im Chiemsee (Fraueninsel)
83256 Frauenchiemsee
Tel. 08054/7644, http://www.frauenwoerth.de
Nach unserem Höllenseminar in Bad Endorf im Februar dieses Jahres wenden wir uns auf der Fraueninsel einem aktuellen und ebenfalls brennenden Thema zu: dem Umgang des Menschen mit seiner Umwelt.
Weltweites Bevölkerungswachstum, atemberaubende technische Entwicklungen der letzten hundert Jahre, kapitalistische Gewinnerwartungen von Investoren, Konsumverhalten in den alten, westlichen Industrieländern, das Niveau des Wohlstandes in diesen Ländern und der Versuch anderer Länder zu den Industrieländern aufzuschließen haben dazu geführt, dass die Menschheit inzwischen mehr als 50% der festen Erdoberfläche in Anspruch nimmt und umgestaltet hat. Dieser, teilweise ausbeuterische Zugriff des Menschen ist begleitet von Massenbewegungen geologischen Ausmaßes. Dies veranlasste Paul Crutzen Anfang der 2000er Jahre zu dem Vorschlag, die Jetztzeit als eine neue geologische Epoche zu betrachten und nannte sie Anthropozän.
Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass wir die „Selbstheilungs- und Selbstreinigungskräfte“ der Erde überschätzt haben. Dies zeigt sich am dramatischsten in der Zunahme der CO2-Konzentration, die zu Erderwärmung und Klimawandel führt. Die Begleiterscheinungen wie Anstieg des Meeresspiegels, Schmelzen der Gletscher und des Festlandeises auf Grönland und der Antarktis, Hitzewellen und Dürreperioden oder Starkregenereignisse treffen bereits heute bestimmte Weltregionen besonders stark. Dazu kommen die Probleme mit der Verringerung der Biodiversität; dies lässt besorgte Forscher von einem 6. Massensterben auf der Erde reden, das aber von der Menschheit verursacht wird.
Ein schnelles Entkommen aus den entstandenen Dilemmata ist nur ansatzweise in Sicht. Peter Finke fordert den Übergang in das „Gaiazän“. Die Kernthese seines kleinen Büchleins „Mut zum Gaiazän“ ist: die gegenwärtige Verfasstheit von Technik und Wissenschaft, die uns in das Anthropozän geführt hat, wird uns nicht aus dem angerichteten „Schlamassel“ helfen; was wir brauchen, ist eine völlig neue Betrachtung der Natur und unserer Stellung in der Natur. Worin er die Lösung sieht, ist leider nur aus Andeutungen zu erschließen. Das beginnt bereits bei dem Begriff „Gaiazän“. Hier ist aber der Bezug zu Latours „Kampf um Gaia“ unverkennbar, wobei sich Latour wieder auf Lovelocks „Gaia-Prinzip“ und die Naturphilosophie von Alfred North Whitehead bezieht. Für Latour ist gerade die Philosophie von Whitehead ein entscheidender Schlüssel für seine Wissenschaftstheorie und -soziologie, die in der Formulierung der Akteur-Netzwerktheorie gipfelt.
Die Suche nach einem neuen Naturverständnis steht im Mittelpunkt unserer FORE-Veranstaltung.
Jörg Wernecke und Toni Lerf wollen ausgehend von 10 Thesen die Pfade und Irrwege der Naturphilosophie seit Descartes bis zu Whitehead nachzeichnen und dann die essentiellen Aspekte von Whitehead herausarbeiten und den Bezug zu den „Kollektiven“ von Latour beleuchten, der auch Nichtlebewesen als Akteure im Weltumgang des Menschen sieht. Die Sicht von Latour kommt populärwissenschaftlich in seinem Buch „Das Parlament der Dinge“ zum Ausdruck.
Michael Seitlinger wird uns mit dem Konzept der „Achtsamkeit“ einen Weg aufzeigen, der zu einer tieferen Wahrnehmung unseres in der „Weltsein“ führen kann. Ausgehend vom religiösen Ausgangspunkt der Achtsamkeit, wird er uns den Begriff näher erklären und aufzeigen, wie er in der Gestalt einer „säkularen Spiritualität“ Eingang gefunden hat in Psychologie und Coaching von Führungspersönlichkeiten. Er wird uns zum Schluss aufzeigen, wie dieses Konzept auch zu einem Wandel unseres Naturverständnisses beitragen kann.
Thomas Nickl, ein ehemaliger Lehrer für Chemie, Biologie und Geographie, wird uns nahebringen, dass das Konzept der Resilienz nicht eine Erfindung des Menschen ist, sondern Grundvoraussetzung für die Stabilität der Ökosysteme. Er wird uns an Beispielen zeigen, wie Tiere diese Leistung in Konkurrenz und Kooperation bewerkstelligen.
Michael Schneider ist Psychologe und Soziologe und hat sich in zahlreichen Studien u.a. für die Bundesministerien für Umwelt und Gesundheit, aber auch für Kommunen und Unternehmen mit Klimaresilienz und Anpassung beschäftigt. In seinem Beitrag wird er sich insbesondere mit Klimaanpassungskonzepten, Hitzeaktionsplänen und Maßnahmen für vulnerable Personengruppen beschäftigen.
Nach Jochen Ostheimer (Professur für Christliche Sozialethik an der Kath.-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg) wird der gesellschaftliche Umweltdiskurs von verschiedenen Leitkategorien wie Resilienz oder Nachhaltigkeit formatiert. Worin ihre Unterschiede und Gemeinsamkeiten liegen, soll in seinem Vortrag diskutiert werden. Dabei wird insbesondere darauf eingegangen, wie Weltansichten geprägt werden.
Programm
Freitag, 21.7.2023
ab | 13:00 | Anreise | ||
15:00 | – | 16:30 | Jörg Wernecke, Anton Lerf | |
"Mensch wider Natur? Thesen zur Naturphilosophie der Moderne von Descartes bis Whitehead und Latour“ |
||||
16:30 | – | 17:00 | Kaffeepause |
|
17:00 | – | 18:30 | Michael Seitinger |
|
"Achtsamkeit als säkulare Spiritualität – Wirklichkeit als Einheit erfahren“ |
||||
19:00 | Abendessen |
Samstag, 22.7.2023
ab | 8:00 | Frühstück | ||
9:00 | – | 10:30 | Thomas Nickl | |
„Resilienz in der Natur“ | ||||
10:30 | – | 11:00 | Kaffeepause |
|
11:00 | – | 12:30 | Michael Schneider |
|
„(Klima-)Resilienz und Anpassung“ | ||||
12:45 | Mittagessen | |||
14:00 | – | 15:30 | Jochen Ostheimer |
|
„Resilienz und andere Leitkategorien. Subtexte im sozioökologischen Diskurs“ |
Sonntag, 23.7.2023
ab | 8:00 | Frühstück | ||
ca. | 10:30 | Fr. Schömer |
||
Führung in der romanischen Kirche in Urschalling |
||||
ca. | 12:30 | Abschluss der Tagung mit dem Mittagessen |